Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft schätzt, dass etwa 10-15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Migräneanfällen betroffen ist. Bei der Migräne handelt es sich um eine neurologische Erkrankung, für die es eine genetische Veranlagung gibt: Über die Hälfte von Menschen mit Migräne sind in ihrem engen Familienkreis nicht die einzigen, die mit den beeinträchtigenden Kopfschmerzattacken zu kämpfen haben. Zudem tritt Migräne bei Frauen bis zu dreimal häufiger auf als bei Männern, was auf schwankende Hormonwerte zurückzuführen sein kann. Zwar sind dieser und weitere Auslöser bekannt, jedoch zählt Migräne zu den idiopathischen Erkrankungen – das heißt, es gibt keine eindeutige Ursache für die wiederkehrenden Attacken.
Für diesen Artikel habe ich mit Nina gesprochen. Sie schreibt auf kopflastig.blog über ihr Leben mit Migräne und Kopfschmerzen und was sie dabei Hilfreiches herausgefunden hat.
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Kopfschmerzen zeichnet sich Migräne durch wiederholte Kopfschmerz-Attacken aus, die bis zu drei Tage anhalten können. Bei der Mehrzahl der Migränebetroffenen treten die Schmerzen einseitig auf, diese können jedoch – von Anfall zu Anfall, oder auch während einer Attacke – die Seite wechseln. Dazu kommen unter Umständen Symptome wie Übelkeit, Überempfindlichkeit und neurologische Symptome, die den Anzeichen eines Schlaganfalls ähneln. Kein Wunder also, dass Migränebetroffene oft in Ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind.
"Es ist nicht leicht, die Erkrankung Außenstehenden zu erklären."
– Nina (kopflastig)
"Migräniker sehen zwischen den Anfällen meist gesund aus und während des Anfalls verschwinden sie
komplett von der Bildfläche", erklärt Nina weiter. "Wie stark sich ein Schmerz anfühlt, lässt sich auch
nur schwer vermitteln."
"Ich habe Migräne, aber auch auch Kopfschmerzen vom Spannungstyp", sagt Nina. "Das ist nicht immer so leicht zu unterscheiden, besonders weil bei mir auch der Kopfschmerz einseitig ist, was eigentlich typisch für Migräne ist." Für die Behandlung und den Umgang mit der Erkrankung ist eine möglichst klare Unterscheidung wichtig, denn bei Migräne sind teilweise ganz andere Maßnahmen und Medikamente angezeigt als bei Kopfschmerzen.
Obwohl Ärzte die Symptome mit internationalen Klassifizierungen von Kopfschmerzen abgleichen können, kann der Weg zur Diagnose von Migräne steinig sein. Hier nehmen wir die Symptome der zwei Hauptformen von Migräne, ohne Aura und mit Aura, unter die Lupe, sowie einige Subtypen der Migräne mit Aura – wie sie im Buche stehen, jedoch nicht unbedingt auf jeden Migräniker zutreffen.
Migräne ohne Aura
Der Großteil der Migräniker ist von der "einfachen" Migräne ohne Aura betroffen. Definiert wird die Migräne ohne Aura als Kopfschmerzattacke, die unbehandelt (bzw. wirkungslos behandelt) zwischen 4 und 72 Stunden anhält. Die Kopfschmerzen der Migräne ohne Aura fallen dabei meist wie folgt aus:
- Pulsierender, pochender Schmerz
- Schmerzen von mittlerer bis hoher Intensität
- Intensivierung der Schmerzen bei körperlicher Belastung
- Mit nur einer betroffenen Kopfseite, statt beidseitig (bei etwa 70 Prozent der Migräniker)
Laut Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft zeichnet auch mindestens eine der folgenden Reaktionen die Migräne ohne Aura aus:
- Übelkeit und/oder Erbrechen
- Licht- und Geräuschüberempfindlichkeit
Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft erwähnt außerdem Geruchsüberempfindlichkeit als mögliches Symptom.
Zu den Vorboten einer Migräne ohne Aura zählt die Internationale Kopfschmerzgesellschaft eine Reihe von Reaktionen, die wenige Stunden bis 1 oder 2 Tage vor Eintritt der Migräne-Symptome auftreten können. Dazu gehören:
- Fatigue
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Steifer Nacken
- Lichtempfindlichkeit und/oder Geräuschempfindlichkeit
- Übelkeit
- Verschwommene Sicht
- häufiges Gähnen
- Blässe
Auch nach der Migräneattacke ohne Aura ist der Spuk nicht unbedingt gleich vorbei. Häufig folgen noch bis zu 48 Stunden später Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten und Nackensteifheit.
Migräne mit Aura
Laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft sind etwa 15 Prozent der Migräniker von Migräne mit Aura betroffen. Bei dieser Migräne-Form treten neurologische Symptome auf, meistens bevor die Kopfschmerzattacke beginnt, in manchen Fällen jedoch auch während der Kopfschmerz-Phase.
Eine Migräne mit Aura weist mindestens eines der folgenden Aura-Symptome auf:
- Sehstörungen
- Sensibilitätsstörungen
- Sprechstörungen (Dysarthrien) und/oder Sprachstörungen (Aphasien)
- Störung der Motorik
- Hirnstammsymptome
- retinale Symptome
Die Symptome einer Aura entwickeln sich nach der Episode komplett zurück. Sehstörungen treten dabei am häufigsten auf – laut der Internationale Kopfschmerzgesellschaft bei mehr als 90 Prozent von Migränikern mit Aura, zumindest während mancher Episoden. Oft sieht man dabei Zickzack-Strukturen, Doppelbilder, es flimmert, man sieht unscharf oder hat sogar blinde Flecken (Gesichtsfeldeinschränkungen).
Am zweithäufigsten kommt es zu halbseitigen Sensibilitätsstörungen. Das sind meist Kribbelparästhesien, die sich langsam vom Anfangspunkt über eine Gesichts-, Körper- oder Zungenseite ausbreiten. Danach kann ein Taubheitsgefühl einsetzen, was in manchen Fällen auch das einzige Symptom ist.
Weniger häufig erleben Migräniker mit Aura Sprech- oder Sprachstörungen. Bei einer Sprechstörung ist das Sprachverständnis erhalten, aber die Sprachmotorik ist gestört. Dagegen ist bei einer Sprachstörung das Sprachverständnis, also die Fähigkeit, Worte zu erkennen und korrekt wiederzugeben, gehindert.
Hirnstammsymptome sind laut der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft als Subtyp der Migräne mit Aura definiert – mehr dazu später.
Studien zufolge weisen Migräniker mit Sehstörungen selten Motorik- oder Sprachsymptome auf, während Menschen mit Motorik- oder Sprachaura fast immer auch Sehstörungen erleben (wenn auch nicht unbedingt während jeder Episode).
Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft geht zusätzlich davon aus, dass bei den Aura-Symptomen mindestens drei der folgenden Merkmale auftreten:
- mindestens ein Aura-Symptom breitet sich allmählich (im Laufe von mindesten 5 Minuten) aus
- mindestens zwei Aura-Symptome folgen direkt aufeinander
- jedes individuelle Aura-Symptom hält zwischen 5 und 60 Minuten an. Die motorischen Symptome können jedoch bis zu 72 Stunden anhalten
- mindestens ein Aura-Symptom betrifft nur eine Kopf- bzw. Körperseite
- mindestens ein Aura-Symptom ist „positiv“, das bedeutet, es erscheint ein zusätzlicher Reiz, beispielsweise bei Blitzen vor den Augen oder Kribbeln im Gesicht oder am Körper. Ein blinder Fleck oder Lähmungserscheinungen hingegen zählen als "negatives" Symptom
- Die Aura wird von Kopfschmerzen begleitet oder gefolgt
Auch bei der Migräne mit Aura gibt es für die Attacken Vorboten sowie Nachwirkungen, wie Hyper- oder Hypoaktivität, Depressionen, Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel, wiederholtes Gähnen, Erschöpfung und Nackensteifheit oder -schmerzen.
Migräne mit Aura, aber ohne Kopfschmerzen
Eine Sonderform der Migräne mit Aura ist die Migräne ohne Kopfschmerzen. In diesem Fall tritt zwar die Aura auf, diese wird aber nicht innerhalb von 60 Minuten von Kopfschmerzen gefolgt oder begleitet. Da die Aurasymptome sehr den Symptomen einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) ähneln, die ein möglicher Vorbote eines großen Schlaganfalls sein kann, ist unter Umständen Vorsicht geboten. Treten die Symptome erstmals auf, wenn man über 40 ist, halten sie für besonders kurze oder lange Zeit an, oder sind sie überwiegend negativ (beispielsweise blinde Flecken), sollte eine TIA ausgeschlossen werden.
Migräne mit Hirnstammaura
Wie bereits erwähnt gilt die seltene Migräne mit Hirnstammaura laut ICHD-3 als Subtyp der Migräne mit Aura, bei der mindestens zwei der folgenden vorübergehenden Symptome auftreten:
- Einschränkung der Steuerung als auch die Ausführung der Sprechbewegungen (Dysarthrie)
- Drehschwindel
- Tinnitus
- Hörstörung (Hypakusis)
- Sehen von Doppelbildern
- Bewegungsstörungen (Ataxie)
- Bewusstseinsstörungen
Ehemals wurde die Migräne mit Hirnstammaura auch als Basilarismigräne oder Migräne des Basiliartyps bezeichnet, heute wird jedoch davon ausgegangen, dass die Basilararterie bei dieser Sonderform der Migräne nicht beeinträchtigt ist.
Hemiplegische Migräne
Bei einer Migräne-Aura mit vorübergehenden motorischen Störungen (von Muskelschwäche bis hin zur halbseitigen Lähmung) spricht man von einer hemiplegischen Migräne. Diese atypische Form wird in den Familiären oder den Sporadischen Subtyp unterteilt, die laut Studien etwa gleich oft verbreitet sind.
Familiäre hemiplegische Migräne (FHM)
Bei Menschen mit hemiplegischer Migräne und Verwandten ersten oder zweiten Grades, die mit gleichartigen Attacken zu kämpfen haben, spricht man von Familiärer hemiplegischen Migräne (FHM). Die Symptome können dabei innerhalb der Familie erheblich variieren. Die FHM wird weiter in drei Subtypen unterteilt, die von drei unterschiedlichen Gen-Mutationen ausgelöst werden.
Sporadische hemiplegische Migräne (SHM)
Bei der SHM gibt es keine Fälle von hemiplegischer Migräne im Verwandtenkreis. Meist haben Betroffene auch keine der bekannten Gen-Mutationen, die bei der FHM als Auslöser bekannt sind.
Chronische Migräne
Als chronisch wird Migräne eingestuft, wenn man an mehr als 15 Tagen des Monats über mehr als 3 Monate hinweg Kopfschmerzen hat. In solchen Fällen ist es oft schwierig festzustellen, ob es sich um Migräne oder Spannungskopfschmerz handelt. Auch Nina hat diese Erfahrung machen müssen. Anfangs lagen zwischen den Migräne-Anfällen noch Monate und die Symptome waren klar einzuordnen:
"Früher hatte ich Migräne-Symptome wie aus dem Bilderbuch: die Aura mit der gezackten Linie, Übelkeit und Schmerzen von Null auf Hundert. Das ist heute anders. Seit die Migräne öfter kommt, sind die Anfälle nicht mehr so klar voneinander abgegrenzt. Ich hab längst nicht mehr immer eine Aura und die Anfälle haben nicht immer die volle Schmerzintensität."
– Nina (kopflastig)
Für Nina gehören die Schmerzen inzwischen leider zum Alltag. "Wenn es gut läuft habe ich nur eine Attacke pro Woche (die zwei Tage dauert)", erzählt sie. "Läuft es schlecht, habe ich mehrere. Es ist leider nicht untypisch für Migräne, dass sie sich im Laufe der Jahre verändert und schlimmer werden kann."
Diagnose und Akzeptanz
Wer vermutet, Migräne zu haben, sollte einen Arzt aufsuchen, um die richtige Diagnose und
Behandlung zu bekommen und andere Ursachen auszuschließen. "Natürlich war ich, wie viele
Mitleidende auch, bei vielen Ärzten, Therapeuten, Heilpraktikern und habe alles ausprobiert, was man
sich so vorstellen kann", schreibt Nina. Denn die Suche nach einer Ursache für die Schmerzen kann
Migräniker sehr beschäftigen – natürlich will man weitere Migräne-Attacken verhindern. Nina hat
jedoch feststellen müssen, dass diese Suche vergeblich war:
"Mittlerweile weiß ich, eine Wunderheilung gibt es nicht – aber es gibt Möglichkeiten in der Behandlung. Dafür braucht man einen guten Arzt und muss sich unbedingt auch selber schlau machen."
– Nina (kopflastig)
Erst durch die Akzeptanz der Erkrankung kann das Leben dann weitergehen. "Mir hat besonders das Wissen geholfen, dass Migräne eine neurologische Erkrankungen ist. Ich muss nicht unendlich nach einer psychosomatischen oder orthopädischen Ursache suchen", sagt Nina. "Es hat einen
großen Unterschied gemacht, mein Handicap zu akzeptieren und mein Leben und meine Behandlung
dementsprechend auszurichten."
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