10 Dinge, die dir niemand über das Leben mit künstlichem Darmausgang erzählt

Unsere Gastautorin Désirée Marie Fehringer hat Colitis Ulcerosa, lebte als Teenager mit einem künstlichen Darmausgang und gibt persönliche Einblicke in das Leben mit Stoma. Ein Erfahrungsbericht über das Leben mit Beutel.

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Désirée Marie Fehringer

Colitis ulcerosa ist eine chronische, zumeist schubweise verlaufende Erkrankung des Dickdarms. Je weiter sich die Entzündung im Darm ausbreitet, desto stärker werden die Symptome. In den meisten Fällen kann die Erkrankung mit Medikamenten gut behandelt werden. Dennoch kann es dazu kommen, dass eine Operation erforderlich ist und das bedeutet: Stoma, also künstlicher Darmausgang. Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 160.000 Menschen auf einen künstlichen Darmausgang angewiesen. Eine Alternative dazu stellt die Pouch-OP dar, bei der ein Reservoir aus Dünndarmschlingen geschaffen wird, das die Darmentleerung hinauszögert und so die Kontinenz von Colitis ulcerosa-Betroffenen erhält.

Ein derartiger Eingriff und die darauffolgende Umstellung können als erste Reaktion beklemmende Gefühle und Furcht hervorrufen. Zudem herrscht oft Unsicherheit: Wie lebt es sich mit einem Stoma? Welche Einschränkungen im Alltag bringt ein künstlicher Darmausgang mit sich? Unsere Gastautorin Désirée Marie Fehringer erhielt bereits als Teenager ihr erstes Stoma und weiß daher alles über das Leben mit künstlichem Darmausgang. Heute lebt sie glücklich mit J-Pouch und gibt hier Einblicke in das Leben mit Stoma. 10 Fakten aus dem Leben mit künstlichem Darmausgang – offen, humorvoll und ohne überflüssiges Tabu.

1. WARTEN!

Ein Großteil des Lebens besteht aus warten. Warten auf den Bus, auf den Zug, an der Ampel, an der Kasse im Supermarkt … Bei Stomaträgern und Pouchies ist das mit dem Warten allerdings nochmal eine ganz andere Dimension. Regelmäßige Infusionen, ärztliche Kontrolluntersuchungen und Darmspiegelungen – immer verbunden mit stundenlanger Warterei in den wunderschönen, nach Chemie und Desinfektionsmittel duftenden Krankenhäusern … Ein Stoma oder ein Pouch macht zwangsläufig geduldig!

2. FREUNDSCHAFT!

Echte, wahre Freundschaften sind meiner Meinung nach eines der wichtigsten und wertvollsten Dinge im Leben. Und mit einem Stoma oder einem Pouch schließt man meiner Erfahrung nach nochmal eine ganz andere Art von Freundschaft.

Mit Leidens­genossen („Mit-Stomies“ oder „Pouchies“) kann man offen und ehrlich über ALLES reden, wird verstanden und nichts, wirklich gar nichts ist zu peinlich. Gemeinsam kann man über Propofol (Narkose­mittel) und verschiedene Schmerz­mittel fachsimpeln, über fiese Kranken­schwestern und überhebliche Ärzte lästern und auch Darm­verschlüsse, Morphium und Magen­sonden werden so humorvoll wie eben möglich analysiert und thematisiert.

3. BLUBBERBAUCH!

Mit einem Stoma kann es zumindest anfangs in stillen Räumen ziemlich peinlich werden. Wenn man selbst noch nicht daran gewöhnt ist und sich auch noch ein bisschen dafür schämt und plötzlich gluckert und blubbert das Stoma unterm T-Shirt geräuschvoll vor sich hin … Für mich war das anfangs sehr schwierig, ich habe immer schützend meine Hand vor den Bauch gehalten und gebetet, dass es vielleicht doch niemand gehört hat … Ein Blubberbauch gehört bei Stoma und J-Pouch eben einfach dazu – aber es gibt wirklich Schlimmeres. ;)

4. BALLONBAUCH!

In der Anfangszeit mit Stoma war es zumindest bei mir so, dass das Beutelchen ständig wie verrückt gearbeitet (Blubberbauch) und sich aufgebläht hat. Ich hatte dann regelmäßig einen kleinen Ballon am Bauch kleben. Das war für mich Anlass genug, mal wieder ausgiebig Shoppen zu gehen: schicke Umstandsmode, weite Sommerkleider und Hosen und Leggings mit viel Stretch. Darin habe ich mich sofort wohler und irgendwie nicht mehr so beobachtet gefühlt … Stoma gut versteckt und trotzdem schick – das geht!

5. GAME-OVER: DARMVERSCHLUSS!

Unser Darm transportiert und verdaut Nahrung mithilfe der Darmbewegung, manchmal ist der Weg durch den Darm bei Stoma-Trägern durch Verwachsungen oder Knicke behindert, die Nahrung kann sich an dieser Engstelle festsetzen und starke Schmerzen auslösen. Spätestens wenn das Stoma streikt, nur noch Luft auspustet aber nichts mehr „rauskommt“ sollte man sofort zum Arzt! Bei leichten Blockaden können viel trinken (abführendes – z.B. Apfelsaft), Bewegung und Bauchmassagen helfen. Halten die Schmerzen an und kommen Übelkeit oder Erbrechen dazu, muss aber sofort eine Klinik aufgesucht werden! Die Ärzte können dort den Darmverschluss mit Medikamenten und Einläufen meist schnell beheben.

6. WASSER MARSCH!

Wasser ist fürs Stoma kein Problem. Auch wenn es anfangs ziemlich viel Überwindung kostet, kann schwimmen total gut tun und der Bauch wird dabei in der Schwerelosigkeit kaum belastet. Duschen und in der Badewanne abtauchen ist sogar ohne Stomaplatte möglich, allerdings sollte man auf ölige Badezusätze und hautreizende Duschcremes verzichten, da die Haut ums Stoma meist sehr sensibel ist.

7. KILOKAMPF.

Mit Stoma nimmt man oft schneller ab, als man essen kann – zumindest war das bei mir so. Der Darm war sehr aktiv und das Essen ist in Formel1-Geschwindigkeit durch mich durchgerattert. Da helfen eindickende Nahrungsmittel wie Bananen, Kartoffeln (Kartoffelbrei), Schokolade und Weißbrot. Und Ruhe nach dem Essen. Einfach (wenn möglich) nach der Mahlzeit ein halbes Stündchen aufs Sofa legen und den Bauch zur Ruhe kommen lassen.

8. FOOD‑TIPPS!

Es gibt weder eine Stoma- noch eine J-Pouch-Diät, am Ende ist das allerwichtigste Erfahrung sammeln und Ausprobieren. Trotzdem gibt es einige Tipps und Tricks die helfen können:

  • Kauen, kauen und nochmal kauen! Je besser die Nahrung zerkleinert wurde, desto leichter fällt es dem Darm. Vor allem Stoma-Träger und Pouch-Neulinge sollten sich Zeit beim Essen nehmen und genießen.
  • TRINKEN! Ein großes Glas stilles Wasser zum Essen hilft der Verdauung zusätzlich und erleichtert den Weg durch die Darmpassage. Viel trinken ist insgesamt gerade bei Stoma-Neulingen wichtig, da der künstliche Ausgang oft sehr aktiv ist und man viel Flüssigkeit verliert.
  • Neben der Flüssigkeit ist vor allem eine ausreichend SALZ-haltige Ernährung wichtig, da man über das Stoma oft einiges an wichtigen Salzen verliert.
  • Fenchel, Anis, Kümmel, Zimt und Dill wirken blähungslindernd!
  • Kartoffeln, Reis, geriebener Apfel, Bananen, Schokolade und Weißbrot dicken ein und können helfen, das Stoma weniger leeren zu müssen.

9. NICHT OHNE MEINE CREME!

Für mich war die Zeit mit künstlichem Darmausgang irgendwann vorbei, ich hatte einen J-Pouch und bekam die Rückverlegung – sprich: Stoma weg und wieder „normal“ auf die Toilette gehen, statt Beutelchen leeren. Worauf einen aber niemand so richtig vorbereitet, sind die ersten Tage und Wochen nach der Rückverlegung. Das Stoma ist weg, der Darm arbeitet (und arbeitet und arbeitet) und produziert oft jede Menge Gallensäure … und die brennt! Wie Feuer! Oder in etwa so, als ob man eine Schüssel Chilischoten gefuttert hätte. Der Po ist schnell wund und rot und ohne Salben und Cremes geht gar nichts mehr. Für mich die einzige Rettung damals: Wund- und Heilsalben wie Bepanthen.

10. AKZEPTANZ.

Das allerwichtigste ist, die Erkrankung, das Stoma oder den Pouch selbst zu akzeptieren. Und niemand sagt einem, wie schwer das vor allem am Anfang sein kann. Unzählige Toilettengänge, Schmerzen, OPs, Narben. Man wünscht sich nichts sehnlicher als ein bisschen NORMALITÄT. Aber dieses Leben, diese chronische Erkrankung ist ab jetzt die neue Normalität, der neue Alltag. Es gibt bessere und schlechtere Tage, das Wichtigste ist, aus den guten Tagen das Beste zu machen und sie zu genießen und an den schlechten die Zähne zusammenzubeißen und zu kämpfen. Und vor allem: immer auf seinen Körper zu hören. Der weiß meistens viel besser was gerade gut tut und was nicht, besser als jeder Arzt, jede Krankenschwester und jedes Medikament. Akzeptiere, dass die Krankheit ein Teil von dir ist, lerne, dich trotzdem oder gerade deshalb zu lieben und finde deinen eigenen Weg.

“Das wichtigste ist, niemals aufzugeben und nie aufzuhören zu kämpfen. Bessere Zeiten kommen – manchmal früher, manchmal später aber sie kommen!“

Foto vor und nach der Pouch-OP
Désirée mit nur 32 Kilo im Rollstuhl nach der Pouch-OP, einige Jahre später am Strand mit ihrem Hund – knapp 15 Kilo schwerer. © Désirée Marie Fehringer

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