Das Potenzial intelligenter Lautsprecher zur Erkennung ernster Gesundheitszustände, wie z.B. einem Herzstillstand, wird von vielen als revolutionäre und lebensrettende Technologie angesehen. Das mag zwar fantastisch futuristisch klingen, aber es gibt weit verbreitete Bedenken hinsichtlich der Technologie, die überwunden werden müssen, sollten Smart Speaker tatsächlich zum Einsatz kommen. Hier sind fünf Gründe, warum diese innovative Technologie umstritten ist.
1. Die Wahl zwischen Sicherheit und Privatsphäre
Intelligente Lautsprecher, wie die von Google Assistant und Alexa von Amazon, könnten bald in der Lage sein, verschiedene Krankheiten zu erkennen. Zu den Erkrankungen, die von den Sprechern erkannt werden sollen, gehören vor allem der Herzstillstand, der durch agonale Atmung gekennzeichnet ist, und psychische Erkrankungen. Indem sie ständig zuhören und analysieren, wie Sie sprechen und atmen, sind Smart Speaker in der Lage, gesundheitliche und emotionale Anomalien auf der Grundlage von Nuancen zu erkennen.
Obwohl die Geräte in der Lage sind, Leben zu retten, werden sie mit Sicherheit kontrovers diskutiert werden. Das größte Sorgenkind heißt Datenschutz. Ob und auf welche Art und Weise gelangen Amazon, Google oder andere Unternehmen in den Besitz Ihrer privaten Informationen? Laut Dr. Peter Chai, einem Assistenzprofessor für Notfallmedizin am Brigham and Women's Hospital in Boston, Vereinigte Staaten, sind die Smart Speaker von Amazon in der Vergangenheit auch dann aktiv gewesen, wenn das vom Nutzer nicht erwünscht gewesen ist. Das lässt vermuten, dass diese Geräte die Gespräche der Nutzer ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung aufzeichneten. Dem britischen Sicherheitsforscher Mark Barnes ist es gelungen, sich in Versionen 2015 und 2016 von Amazon Echo zu hacken und es dadurch in ein Live-Mikrofon umzuwandeln.
Auch Google soll sich dessen schuldig gemacht haben. Bei einer Einführungsveranstaltung im Jahr 2017 wurde festgestellt, dass mehrere fehlerhafte Google-Home-Geräte wie auch der Google Assistant fast ununterbrochen aufzeichneten, obwohl diese Funktion nicht aktiviert worden ist, was auf ein enormes Datenschutzproblem hinweist, das bei mehreren Smart Speakern auftreten könnte.
Der Arzt Dr. Eric Topol, ein Experte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI), sagt: „Ich denke, das Gerät ist eine clevere Idee und es ermöglicht, Risiken für Personen zu erfassen, die für einen Herzstillstand anfällig sind. Dennoch ist es unheimlich, eine Überwachungsinstanz durch kontinuierliches Abhören im Haus zu haben.“ Letztendlich liegt es am Verbraucher zu entscheiden, wie wohl er sich mit dem Abhören durch Dritte fühlt.
2. Profit über Person?
Die Technikgiganten Google und Amazon haben mehrere Patentanmeldungen eingereicht, die eine Spektrum an Möglichkeiten abdecken, wie Smart Speaker in Zukunft eingesetzt werden könnten, um zu überwachen, was ihre Nutzer sagen und tun.
Unter diesen Patenten befinden sich sogenannte „Voice-Sniffer“-Algorithmen, die so programmiert sind, dass sie Auslöseworte von Benutzern erkennen. Auslösewörter sind Wörter wie „mögen“, „lieben“ und „hassen“. Bei der Identifizierung würde der Algorithmus das Audio in Echtzeit untersuchen und die Produkte, die Gegenstand dieser Auslösewörter sind, zur Kenntnis nehmen und eine Datenbank mit den Präferenzen des Benutzers erstellen. Unternehmen gelangen mithilfe dieser Algorithmen in den Besitz von Informationen, darunter beispielsweise, welche Interessen die Anwender verfolgen. Firmen könnten diese Informationen nutzen, um gezielt Werbung zu schalten und Produktempfehlungen abzugeben.
Während sich einige Menschen mit personalisierter Werbung, die ihren Interessen entspricht, wohlfühlen, stellen andere infrage, ob die an sie vermarkteten Produkte wirklich ihrem Vorteil gereichen oder ob sie nur Bestandteil des Gewinnstrebens von IT-Giganten wie Amazon oder Google sind.
Nehmen Sie an, Sie müssen öfter niesen und Amazons Alexa kommt zu dem Schluss, dass Sie krank sind – dann kann es passieren, dass Ihnen beim Surfen im Netz gezielte Werbung für Grippemedikamente angezeigt wird. Diese wurden dann von einem Pharmaunternehmen produziert, das zwar für die Werbeflächen bezahlt hat, aber möglicherweise nicht die wirksamsten Heilmittel für Sie sind.
Obwohl das eine rein hypothetische Situation ist, gibt es Bedenken, dass dies das primäre Ziel der Entwickler der Software ist. Der technologische Fortschritt von „Voice-Sniffer“-Algorithmen bis hin zu Smart Speakern, die tatsächlich in der Lage sind, Gesundheitsprobleme zu erkennen, ist bereits im Gange und viele gehen davon aus, dass die Idee in den kommenden Jahren Realität wird.
Unter dem Aspekt der Gewinnoptimierung ist es logisch zu schlussfolgern, dass sich die IT-Giganten diese Technologie gewinnbringend zunutze machen und gezieltes Marketing betreiben werden. Wenn Anwender von einer Erkennungssoftware profitieren wollen, müssten sie daher auch die damit verbundenen Marketinganstrengungen in Kauf nehmen.
3. Die Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Mensch und KI
Neben der Möglichkeit, dass Smart Speaker Gesundheitszustände erkennen können, ist Amazons jüngste Partnerschaft mit dem britischen National Health Service (NHS) ein Hinweis darauf, dass der nächste Schritt für diese Geräte darin besteht, medizinische Informationen bereitzustellen, wenn Benutzer gesundheitsbezogene Fragen stellen. Könnten sie darüber hinaus potenziell zu Werkzeugen für die Diagnose und sogar die Behandlung bestimmter Erkrankungen werden?
Unter vielen anderen haben sich IBMs Watson und verschiedene Google-Tools als bemerkenswert kompetente Ärzte erwiesen, von der Brustkrebsdiagnose bis zur Analyse genetischer Daten. Sie können auch umsetzbare Ratschläge zur Behandlung geben. Was die Therapie anbelangt, so haben sich sogar einfache Instant-Messaging-Austausche mit Chatbots bei der Behandlung psychischer Störungen als wirksam erwiesen. Diese Fähigkeit einer künstlichen Intelligenz (KI), Gesundheitsprobleme zu erkennen und dann Ratschläge – in einigen Fällen auch Behandlungsvorschläge – zu geben, ist eine zunehmend realitätsnahe Idee. Eine therapeutische Einsatzmöglichkeit der Geräte wären „virtuelle Check-Ups“. Es scheint selbstverständlich, dass Smart Speaker für Untersuchungen daheim eingesetzt werden.
Auch das wirft jedoch zusätzlich zu den bereits erwähnten Fragen zu Privatsphäre und Werbung weitere Bedenken auf. Es besteht eine plausible Chance, dass die Menschen die Antworten von Smart Speakern ohne Hinterfragen akzeptieren und sich nicht um eine angemessene Diagnose und Behandlung bemühen. Sollte Ihr Lautsprecher in der Lage sein, medizinischen Rat anzubieten, wer ist verantwortlich, wenn sich dieser Rat als falsch und potenziell schädlich erweist? Die Vorschriften über den Einsatz der KI im Gesundheitswesen stecken bestenfalls in den Kinderschuhen.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Menschen gar nicht merken, dass sie überhaupt mit einer Maschine sprechen. Google Duplex hat gezeigt, wie lebensecht die KI sein kann, indem es sogar „Füllwörter“ wie „äh“ und „ähm“ verwendet. Eine Konversation mit einer menschlichen Stimme kann beruhigend sein, wenn es um sensible Themen wie Gesundheit geht. Deswegen ist es denkbar, dass die hyperrealistische KI in intelligenten Sprechern eingesetzt wird. Smart Speaker sind jedoch nicht an die ärztliche Schweigepflicht gebunden, was bedeutet, dass Unternehmen Ihre Daten ohne Ihr Wissen nutzen könnten.
Smart Speaker können ein mächtiges Instrument für die Gesundheitsbranche sein – und eines, das enorme Mengen Geld spart sowie Effizienz bei der Diagnose und Behandlung von Patienten steigern kann. Dennoch muss Anwendern klar sein, mit wem – oder was – sie ihre Informationen teilen und auf welche Weise diese genutzt werden.
4. Status: Unausgereiftes Konzept
Die Fähigkeit von Smart Speakern, lebensbedrohliche Gesundheitszustände zu erkennen, mag zu gut klingen, um wahr zu sein. In gewisser Weise ist sie es auch. Zwar wurden bereits Experimente durchgeführt und Schlüsse zu Gebrauchsmöglichkeiten gezogen, dennoch bleibt noch viel zu tun, um die Technologie vom Status eines geprüften, aber unfertigen Konzepts zum alltäglichen Gebrauch zu erheben.
Auch hat die Forschung Schwierigkeiten, die verschiedenen Gesundheitsprobleme technisch zu unterscheiden. Beispielsweise ist eine gestörte Atmung ein ähnliches Symptom wie die agonale Atmung. Mögliche Diagnosen wären ein Schlaganfall, Hypoglykämie oder Krampfanfälle. Sollte es sich bei diesen Erkrankungen um eine chronische Krankheit handeln, mit der eine Person seit ihrer Geburt zu tun hat, sind sie möglicherweise nicht lebensbedrohlich und könnten einen Fehlalarm auslösen.
Es bedarf also weiterer Anstrengungen, um die Produkte irgendwann auf den Markt zu bringen. In der Zwischenzeit können sich die Verbraucher der möglichen Nachteile bewusst sein machen, die mit den Geräten einhergehen.
5. Sind einige Symptome ein Zeichen dafür, dass es zu spät ist?
Trotz der allgemeinen Aufgeschlossenheit gegenüber den Möglichkeiten, die diese Technologie bietet, sind einige Mediziner skeptisch, inwieweit Smart Speaker tatsächlich Leben retten könnten. Ärzte erkennen die vielen Vorteile, die die Geräte mit sich bringen, wie z.B. die Überwachung einer Schlafapnoe oder das Erfassen von Symptomen psychischer Gesundheit.
Dennoch sind diese Fachleute nicht in allen Punkten überzeugt. Z.B. wenn es darum geht, Herzstillstände durch agonale Atmung zu erkennen. Dr. Satjit Bhusri, Assistenzprofessorin für Kardiologie am Lenox Hill Hospital, meint dazu: „Agonale Atmung ist immer ein Zeichen für eine Krankheit im Endstadium, sei es durch einen Herzstillstand oder auf andere Weise. Unser Ziel ist es, die Patienten aufzufangen, bevor sie dieses Stadium erreichen“, so Dr. Bhusri.
Bis ein Smart Speaker imstande ist, agonale Atmung zu erkennen, befindet sich der Patient in der Regel in einem kritischen Zustand. Das Erkennen des Symptoms wäre also völlig nutzlos. Darüber hinaus können häufige erste Anzeichen eines Herzstillstands, zu denen Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Schwindel und Brustschmerzen gehören, von einem Smart Speaker möglicherweise ebenfalls nicht erkannt werden. Das stellt die Wirksamkeit des intelligenten Lautsprechers bei der Erkennung lebensbedrohlicher Symptome infrage.
Fazit
Bedenken zu technologischen Neuigkeiten in der Gesundheitsbranche sollten individuell und sorgfältig abgewogen werden. Viele verschiedene Menschen haben eine eigene Position dazu, inwieweit gesundheitliche Information in Technologien einfließen darf. Außerdem wird trotz der hier aufgeführten Fragen in der laufenden Forschung erwartet, dass Smart Speaker einmal mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen werden.
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