Im fünften Teil unserer Reihe „Leben mit Morbus Crohn - Tipps für Angehörige“, ruft unsere Gast-Autorin Michaela Schara dazu auf, die falsche Scham, mit der Darmerkrankungen in unserer Gesellschaft behandelt werden, abzulegen. Der ein oder andere Darmwind gehört auch bei Gesunden zum täglichen Leben. Diese zu unterdrücken, ist nicht unbedingt förderlich – erst recht nicht, wenn man mit Morbus Crohn oder einer anderen chronisch-entzündlichen Darmerkrankung lebt. Weder für Blähungen, noch für unangenehme Gerüche oder Geräusche, die Darmfunktionen nun einmal verursachen, sollte man sich deshalb schämen müssen.
Teil 5: Falsche Scham macht sprachlos
Scheiße ist ein Wort, dass uns im Alltag oft über die Lippen kommt. Aber wenn es darum geht, dass man unter einer intensiven Anhäufung dieses Stoffwechselproduktes leidet, dann versagt die Sprache und man ist peinlich berührt. Als CED-Patient°in ist das Reden über Stuhlgang, Häufigkeit und Konsistenz der Ausscheidungen fix im Arztgespräch gebucht. Da hat falsche Scham keinen Platz. Das lernt man schnell und das übernimmt man dann mitunter auch in den Alltag. Was gut ist, denn: Unser Darm ist der, der uns am Leben erhält, unser wunderbarer Motor, ohne den wir nichts sind, nichts sein können und nichts tun können. Krankt der Motor, geht’s uns dreckig. Und das ist leider Scheiße.
Die nebenbei bemerkt sehr faszinierend sein kann. Nein, ich bin kein Freak, aber werft doch mal einen Blick auf das, worüber man nicht spricht. Das ist auch etwas, was man als CED Patient°in lernen muss: Dieser Blick, mit dem man seine verdauten Nahrungsrückstände kurz analysiert und sofort weiß, ob und was da im Busch ist (im, nicht hinterm). Weil man vielleicht das vor viel zu kurzer Zeit genossene Mittagessen in zerkleinerter Form und großteils unverdaut viel zu früh wieder erblickt. Oder Blut findet. Oder Schleim. Was alles kein gutes Zeichen ist. Das ist nicht schön. Das stinkt mitunter gewaltig.
„Unser Darm ist der, der uns am Leben erhält, unser wunderbarer Motor, ohne den wir nichts sind, nichts sein können und nichts tun können.“
Aber sogar der Geruch ist wichtig, denn anhand dessen kann man auch viel erfahren. Blut im Stuhl ist fürs freie Auge nicht immer sichtbar. Aber es hat fallweise einen ganz eigenen Geruch und das ist ein wichtiges Symptom, weil eben nicht normal. Wenn man sich mit CED Patient°innen den Alltag und die Toilette teilt, dann ist das oft eine logistische und olfaktorische Herausforderung. Aber hey: Ihr müsst es nur riechen, wir hatten die Qual der Produktion und das war auch nicht lustig. Insofern ist es hilfreich, wenn man die Rückmeldung bekommt, dass die Kacke weniger am Dampfen, denn blutig zu sein scheint. Weil als Betroffene°r ist man da vielleicht schon zu KO, um das richtig einordnen zu können und hat die Nase aus anderen Gründen voll.
Der nächste Punkt auf der verschämten Sprachordnung sind Blähungen. Tja, da hilft nix, da muss man durch, denn die wollen raus und leider halten sie sich im CED Fall nicht an die zwischenmenschlich tolerierten Öffnungszeiten. Ähnlich wie beim häufigeren Stuhlgang sind auch teils heftige (und sehr schmerzhafte) Blähungen teil der chronisch-entzündlichen Daily Soap. Ich kenne Patient°innen, die diesbezügliche Hemmungen vollends abgebaut haben und alles rauslassen, was keinen Zins zahlt. Egal wo sie sich befinden, alleine oder in Gesellschaft. Das mag mitunter verstören, ist aber tatsächlich die gesündere Alternative.
„Das mag mitunter verstören, ist aber tatsächlich die gesündere Alternative.“
Das Zusammenkneifen und Veratmen geht, wenn überhaupt, nur bis zu einem gewissen Punkt (und der ist rasch nach Aufkommen des Windes erreicht) und ist zusätzlich sehr schmerzhaft. Da diese und andere schmerzhaften Zustände oft kurz nach dem Essen passieren, gehen viele Betroffene dazu über, in Gesellschaft oder vor Treffen bewusst länger nichts zu essen bzw. entsprechende Termine auszulassen. Damit leidet man dann zusätzlich und warum? Wegen heißer Luft, von der manche Zeitgenossen sprachlich in einem Tag wesentlich mehr rauslassen, als ein CED-Erkrankter während eines mehrwöchigen Schubes produziert. Was diesen Punkt der Symptomatik betrifft, leben wir eindeutig in den falschen Zeiten. Früher hieß es bei uns noch „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?“ (angeblich von Luther stammend).
Kleinen Babys versucht man diese lautmalerischen Verdauungsgeräusche noch bewusst zu entlocken, klopft zart den Rücken und reibt das Bäuchlein. Nach vollbrachtem Bäuerchen oder Windelgedonner ist die Erleichterung bei Mutter und Kind gleichermaßen groß und der tapfere Produzent wird liebevoll belohnt: „Gut gemacht, du braver Schatz.“ Das hört man ab einem gewissen Alter eindeutig nicht mehr.
Eigentlich dumm, aber nicht alle gesellschaftlichen Regeln machen nun mal Sinn. Diese hier sollte im Zusammensein mit CED-Betroffenen außer Kraft gesetzt werden und wer weiß, vielleicht ist diese Pionierarbeit ja ein wichtiger Beitrag zum Weltfrieden.
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