Die Diagnose einer chronischen Krankheit wirft nicht nur die Frage auf, wie das eigene Leben von nun an weitergehen soll, wie sich die Zukunft gestaltet und wie die Krankheit wohl verlaufen wird. Hat sich alles eingependelt, schlägt die Therapie an und ist der Alltag wieder eingekehrt, bleibt häufig eine Frage offen: Wie soll man mit den Mitmenschen umgehen, wann erzählt man ihnen davon und überhaupt: Wem erzählt man von seiner chronischen Erkrankung? Unsere Gastautorin Désirée Marie Fehringer lebt bereits seit ihrem 14ten Lebensjahr mit einer chronischen Darmerkrankung und hat sich genau über diese Fragen auch schon Gedanken gemacht. Ihre persönlichen Überlegungen und Tipps zu diesem Thema gibt sie gerne an andere weiter.
Selbst mit der eigenen chronischen Erkrankungen (in meinem Fall die chronische Darmentzündung Colitis Ulcerosa) klarzukommen, ist oft schon schwer genug. Aber wie bringe ich es am besten der Familie, den Freunden, dem Partner oder sogar Kollegen bei? Jeder Mensch geht mit einem chronisch Kranken anders um. Von Verständnis, ehrlichem Interesse und Über-Fürsorge bis hin zu blöden Sprüchen oder sogar Neid (ja es ist totaler Quatsch auf eine Krankheit neidisch zu sein (!) aber auch das habe ich leider schon erlebt ... „die hat mehr Urlaubstage“, „immer bekommt die so viel Aufmerksamkeit wegen ihrer Krankheit“...) kann jede Reaktion dabei sein. Aber wann rede ich nun mit wem darüber? Und muss ich wirklich JEDEM von meiner Erkrankung erzählen?
Erstmal vorweg: Jeder Mensch ist einzigartig, jede Krankheitsgeschichte ist einzigartig und jeder hat seine ganz eigene Art, mit einer chronischen Erkrankung umzugehen. Wie offen du damit umgehst, hängt erstmal ganz allein von DIR ab! Und: niemand zwingt dich, deine Erkrankung bei einem Vorstellungsgespräch oder dem ersten Date auf dem Silbertablett zu servieren! Im Folgenden werde ich schildern, wie ICH im Alltag – gegenüber der Familie, Freunden und Kollegen – mit meiner Erkrankung umgehe, das soll aber keineswegs als „Patentrezept“ gelten. Das alles sind PERSÖNLICHE Erfahrungen, Tipps und Eindrücke, die hoffentlich anregen und inspirieren, aber das alles muss für euch nicht eins zu eins genauso gelten...
Die Kollegen: Nur wer Bescheid weiß, kann auch ein Verständnis entwickeln
Eine chronische Erkrankung kann im Berufsleben oft regelmäßige Arztbesuche und Fehltage durch Krankenhausaufenthalte mit sich bringen. Bei dem Erkrankten selbst kann das zu schlechtem Gewissen gegenüber den Kollegen führen. Das ist totaler Quatsch, denn du kannst nichts für deine Krankheit und hast dir das nicht ausgesucht! Trotzdem können Kollegen das alles oft besser verstehen, wenn sie wissen, warum du ‚schon wieder‘ fehlst ...
Ich bin im Berufsleben deshalb bislang ganz gut mit einem gesunden Maß an Offenheit und Ehrlichkeit gefahren. Ich habe dabei nicht jedem Kollegen bei der ersten Begegnung meine Krankheitsgeschichte entgegengeworfen, sondern hab das immer davon abhängig gemacht, wie gut ich den jeweiligen Kollegen kenne, wie nah wir zusammenarbeiten und ob meinem Gefühl nach ein „Vertrauensverhältnis“ besteht. Aber ich persönlich denke mir immer: nur wer auch von der Krankheit weiß, kann ein Verständnis dafür entwickeln. Beispiel: In der Kantine habe ich oft „Extrawünsche“. Wenn die Kollegen Bescheid wissen, wissen sie auch, dass ich keine wählerische Nudel bin (und auch nicht an einer Essstörung leide!), sondern dass das an meinen zahlreichen Unveträglichkeiten liegt, mit denen ich zu kämpfen habe. In meinem Fall hat das zu sehr viel Verständnis geführt oder auch dazu, dass ich schon Montagmorgens mit einem Schmunzeln darauf angesprochen werde, wann es Pommes (vertrage ich supergut) in der Kantine gibt. ;-)
Familie & Freunde: Gute Freunde erkennt man in schlechten Zeiten
Der Halt von Freunden und der Familie kann bei einer chronischen Erkrankung unglaublich guttun. Sie können dich auffangen, wenn es dir mal wieder richtig schlecht geht, dich unterstützen und dir Kraft spenden. Offenheit und Vertrauen helfen hier meiner Meinung nach IMMER und sind ein wichtiger Baustein einer wirklich guten Freundschaft beziehungsweise eines guten familiären Verhältnisses. Dabei gilt aber auch: Unterstützung und Verständnis sind gut, Überfürsorge und in Watte gepackt zu werden hingegen nicht! Man kann hier nur gemeinsam rausfinden, wo das gesunde Mittelmaß liegt und das passiert nicht von heute auf morgen.
Was ich für mich rausgefunden habe: Verständnis und Rücksichtnahme sind toll und wichtig. Mindestens genauso wichtig ist aber auch, dass du Freunde hast, von denen du einfach „normal“ behandelt wirst. Die mit dir in den Urlaub fahren, auf Konzerte gehen und die Nacht durchtanzen. Die sich dann wiederum aber auch genauso zu dir ins Krankenhausbett legen. Verständnisvolle Freunde, die dir auch nicht böse sind, wenn du einen Restaurantbesuch mal kurzfristig absagen musst, weil dein Körper einen Abend auf dem Sofa braucht, sind superwichtig!
Aber es ist auch wichtig, sich nicht zu isolieren, sondern mit guten Freunden die guten Zeiten zu erleben, rauszugehen und das Leben zu genießen. Deshalb wissen meine wirklich guten Freunde ALLE über meine Erkrankung Bescheid, oberflächlichen Bekanntschaften dagegen muss ich nicht unbedingt davon erzählen, aber die sind bei mir um ehrlich zu sein auch sehr viel weniger geworden. Denn am Ende zählen eigentlich nur die Freunde, mit denen du offen und ehrlich über alles – vor allem auch über Krankheit – sprechen kannst.
Was übrigens auch gut tun kann, sind Freundschaften zu ein paar ebenfalls chronisch Kranken. Hier kann man sich oft nochmal ganz anders austauschen, offen und ehrlich ähnliche Probleme bequatschen und über „Insider-Probleme“ lachen. Bei der Familie gilt bei mir: das sind DIE Menschen, die wirklich IMMER für dich da sind, die du nachts um 03.00 Uhr anrufen kannst, egal was ist und die das auch gern machen. Trotzdem habe ich mit der Zeit gelernt, was ich mit mir selbst ausmachen kann und wann ich Mama oder Schwester einweihe. Denn klar macht sich die Familie (vor allem Mamas, denn du wirst IMMER die kleine Tochter bleiben – egal wie alt du bist) sofort Sorgen und malt sich alle möglichen Horror-Szenarien aus. Deshalb gilt hier bei mir: kleine Problemchen und Sorgen gern auch mal mit sich selbst ausmachen oder mit Freunden (vielleicht sogar ebenfalls Erkrankten) bequatschen, bevor sich die Familie unnötig Sorgen macht.
Der_die Partner_in: In guten wie in schlechten Zeiten!
Auch in einer Partnerschaft ist ein gesundes Gleichgewicht das A und O: Die Krankheit sollte nicht ignoriert werden, aber auch nicht das Dauerthema zwischen euch sein. Offenheit ist eine wichtige Grundlage für Vertrauen. Sprich mit deinem Partner darüber, wie es dir geht, welche Bedenken und Ängste du hast - das kann bei euch beiden Unsicherheiten abbauen. Wichtig ist aber vor allem auch, dass der Partner Verständnis dafür hat, dass es Phasen geben kann, in denen du vielleicht nicht wie gewohnt „funktionierst“, mal deine Ruhe brauchst, ins Krankenhaus musst, Unternehmungen, die ihr geplant hattet ins Wasser fallen ... Dafür kannst du nichts (!) deshalb ist ganz wichtig, dass du kein schlechtes Gewissen gegenüber deinem Partners hast!
Eine chronische Krankheit ist ein Auf und Ab, bei dem vor allem Flexibilität gefragt ist. Nutzt und genießt gemeinsam die guten Zeiten. Aber der Partner MUSS auch in schlechten Zeiten zu dir stehen, für dich da sein! Du musst nicht beim ersten Date deine chronische Krankheit auf die Nase binden (da gibt es vielleicht schönere Themen). Trotzdem solltest du es aber auch nicht ewig verschweigen, denn am Ende brauchst du auch nur jemanden an deiner Seite, der dich MIT deiner Krankheit liebt und für dich da ist – in guten Zeiten aber eben auch in den Zeiten, in denen es dir beschissen geht.
Mein Fazit
Am Ende geht es immer darum, mit wie viel Offenheit DU dich wohlfühlst! Du hast gerade einen Menschen (egal ob potentieller Partner oder Kollegen) neu kennengelernt? Du MUSST ihm nicht sofort von deiner Erkrankung erzählen. Aber je näher dir ein Mensch steht, je mehr Zeit du mit ihm verbringst und je wichtiger er dir wird, desto mehr hat auch er bzw. sie es verdient, Bescheid zu wissen. Denn nur wer von deiner Krankheit weiß, kann auch entsprechend reagieren und ein Verständnis dafür entwickeln.
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